79 80 Ravensburg. Alltag, Apokalypse, Autonomie
Museum Humpis-Quartier | Ravensburg, Deutschland
Die Wende der 1970er zu den 80er Jahren war von weltpolitischen Ereignissen und Krisen geprägt: Kalter Krieg und atomare Bedrohung, Umweltzerstörung, Luft- und Wasserverschmutzung sowie die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 führten auch im bisher konservativen Ravensburg zu einer politischen Aktivierung und damit zu einer bislang unbekannten Vielfältigkeit des kulturellen Spektrums und der Lebensstile.
Politische Bewegungen und Initiativen wie die Anti-AKW-Bewegung, Umwelt- und Öko-Gruppen, die neue Friedens- und die zweite Frauenbewegung, alternative Zeitungen sowie Kneipen etablierten sich und veränderten die Stadt nachhaltig. Etwa die 1978 gegründete Kulturkneipe Räuberhöhle, der Förderverein Zehntscheuer, das Magazin für Politik und Kultur in der Region, "die Südschwäbischen Nachrichten", oder das 1984 eröffnete Douala.
Im Aufbruch befanden sich die Frauen, die sich ihre Räume in der Stadt und in den politischen Gremien erkämpften, etwa mit den Demonstrationen zur "Walpurgisnacht" gegen Gewalt an Frauen oder der Grünen Frauenliste zur Gemeinderatswahl 1989. Eine vielfältige Jugend- und Musikkultur von Punk über "Schwobarock" bis Pop breitete sich aus und war eng mit dem städtischen Jugendhaus verknüpft. Junge Menschen erprobten neue Lebensstile in Wohngemeinschaften, gründeten genossenschaftlich oder kollektiv organisierte Projekte und Netzwerke. Oder sie genossen neue Freiheiten im Bereich der Mobilität und Freizeitgestaltung.
Erstmals ermöglichten neue Medien und Formate eine flächendeckende und schichtenübergreifende Versorgung mit Unterhaltung, Film, populärer Musik und neuen Trendsportarten: in den heimischen Wohnzimmern erfreuten sich Fernsehserien, Hitparaden und Fitnesssendungen großer Beliebtheit.
Außerdem veränderte sich das Gesicht der Stadt durch Sanierungsmaß-nahmen, Neubau und den zögernden Abschied vom Konzept der autogerechten Stadt. Auch hier spielte bürgerschaftliches Engagement eine große Rolle.
Grund genug, sich diese kontrastreiche Epoche auf dem Weg zur heutigen Stadt einmal genauer anzuschauen und in einer Ausstellung zu präsentieren. Gezeigt werden zahlreiche Objekte aus Privatbesitz, Fotos und Plakate, ergänzt von Videoschnipseln und Audiofiles mit Zeitzeug*innen-Interviews und dem Sound der Zeit.
88212, Deutschland